Worte, Wind & Gummistiefel

Die Altäre sind wieder verwaist. Äpfel und Kartoffeln, Konserven, Blumen und natürlich der große Kürbis haben ihre Zeit gehabt.

Die Früchte der Felder und Gärten sind nach dem Erntedankfest dorthin verbracht worden, wo sie verwertet oder weitergegeben werden konnten: in Küchen und Schulen, bei der Tafel in Arnstadt. Bis zur Wende 1989 hatten wir in unserer Gemeinde mit dem diakonischen Sophien-Krankenhaus Weimar einen mehr als verlässlichen Abnehmer. Frisches Obst und Gemüse aus den privaten Gärten war immer willkommen und eine Bereicherung für das Angebot, das die Küche in dieser Zeit den Patienten machen konnte.

Heute sind wir dankbar, einen Abnehmer für die Erntegaben zu finden. Warum? Weil die Unmittelbarkeit von Ernte-Ertrag und Lebens-Mittel so nicht mehr gegeben ist und keiner mehr an der Frage nagen muss: Wie kommen wir durch den Winter? Bei REWE ist täglich Erntedank.

Gott sei Dank, sagen wir vor den übervollen Auslagen. Warum dann aber noch in die Kirche gehen? Weil von dort und nicht nur in diesen Tagen ein Wort über die leeren Felder und Gärten streicht:

Wenn du gegessen hast und satt bist, sollst du den HERRN, deinen Gott, loben für das gute Land, das er dir gegeben hat ... Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen (5. Mose 8,10.17).

Wie durch einen kräftigen Wind zieht uns das Wort weg von uns selbst, weht hin zum Land und Lobe und Namen Gottes. Aber darf ich nicht auch stolz sein auf das, was durch meine Kraft entstanden - und dankbar, was durch meiner Hände Stärke geworden ist? Dafür mühe ich mich doch täglich ab an meinem Arbeitsplatz. Dafür muss ich doch immer wieder Kompromisse machen im Zusammenleben mit meinem Partner. Dafür gehe ich nach einem langen Tag noch zum Elternabend in der Hoffnung, dass in diesem Weinberg irgendwann Früchte wachsen.

Warum dann aber so ein Wind darum? Weil dort, wo „mein“ und „unser“ und „zuerst“ gesagt wird, jede Ideologie beginnt, menschengemachte Meinung, die Erdenschwere gewinnt durch „meine Kraft“ und „meine Stärke“ und „unser Volk zuerst“, deren Blätter lieber fallen als tanzen.

Und die können sich festsetzen und modern, Blatt für Blatt, Tag für Tag, Jahr für Jahr. Und sie können zu neuem Humus, unversehens aber auch zum Morast werden, in dem wir und andere stecken bleiben. Da laufen wir doch lieber wie einst als Kinder mit unseren Gummistiefeln durch das Laub und helfen dem Wind und dem Wort und unserem Zusammenleben auf.

Thomas Kratzer, Pfarrer in Arnstadt