Was uns umtreibt

Wir alle durchleben in diesen Monaten und wohl auch in dem vor uns liegenden Jahr, gleiche Ängste, gleiche Wut und teilen die gleichen falschen oder auch berechtigten Hoffnungen.

Wer nicht erkrankte, der sieht die Krise wie eine dunkle Wand vor sich. Wer die Erkrankung schwer durchlitten hat, weiß sehr viel genauer, worüber wir tagtäglich reden. Wer trauert, den hat die Wirklichkeit zu Boden gerissen, der weiß, dass weder verdummende Parolen, noch durch Rechtsradikale gesteuerte Aufmärsche weiterhelfen.

Paulus schreibt in einem Brief an die Gemeinde in Rom: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ (Röm 8,14)

Am Anfang eines Jahres soll dieser Bibelvers in die richtige Richtung weisen. – Am Beginn dieses Jahres 2022 ist das schwieriger als sonst, denn die Meinungen darüber, wo und wie der Geist Gottes, also das Vertrauen zum Leben und zu dem, der uns das Leben gab, zu finden ist, gehen weit auseinander.

Ich schreibe Ihnen meine Meinung dazu auf: Der Geist Gottes macht lebendig, klug und gelassen. Alles, was sinnlose Ängste schürt und Hass weckt, hat mit dem Geist Gottes nichts zu tun.
Er vertreibt die Angst und die falsche Sicherheit. Er lässt uns auch in schlimmen Zeiten mit Gottes Hilfe rechnen. Er schärft uns den Blick auf den Zustand der Welt und rechnet damit, dass wir uns für alles, was wir tun und lassen, verantworten müssen. Der Geist Gottes öffnet unser Denken für die Ewigkeit.

Ich möchte in diesem Jahr vernünftig bleiben, tun und lassen was die Umstände gestatten oder erzwingen, möchte dankbar dafür bleiben, dass Gott den Menschen viel wissenschaftliche Klugheit und Verantwortungsgefühl mitgegeben hat, möchte, dass Wissenschaftler, Politiker und alle sozialen Berufe so wertgeschätzt und bezahlt werden, wie sie es wirklich verdienen. Ich möchte trotz aller Sorgen weder mein Mitgefühl mit den Betroffenen, noch mein Entsetzen über die verantwortungslosen Panikmacher verlieren. Ich möchte nicht vergessen, dass auch ich Gottes Kind bin und bleibe.

Wir alle, Alte und Junge, Gesunde und Kranke, Menschen verschiedener Hautfarben, Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen, wir „Denker“ aller Arten (solange wir denken und  diskutieren und keine Polizisten angreifen) sind „Gottes Kinder“. Kinder müssen ernst genommen werden und sie lernen immer noch dazu. „Naiv“, also kindlich offen zu bleiben, ist eine der besten Gaben im Leben. Möge mich und jeden, der sich darauf einlässt, ein lebendiger, empathischer, naiver Geist durch das Jahr tragen.

Gott vertrauen ist das Vernünftigste, was ich tun kann. Auch Gottvertrauen kann ansteckend sein. Es kann der Halt sein, den ich gerade in diesem Jahr brauche, damit mich die Krise nicht aus der Bahn wirft.

Pfr. i. R. Andreas Müller