Musikalischer Weckruf

Als eines seiner letzten Werke schrieb der Komponist Max Reger 1914 seine Sammlung "Acht geistliche Gesänge", opus 138. Den zweiten dieser Gesänge überschrieb er „Morgengesang“.

Er vertonte darin die ersten drei Strophen eines Gedichts des Reformators Johannes Zwick (Evangelisches Gesangbuch Nummer 441):

„Du höchstes Licht, du ewger Schein, du Gott und treuer Herre mein, von dir der Gnaden Glanz ausgeht und leuchtet schön so früh wie spät.“

Wie ein feierlicher Weckruf beginnt diese Strophe. Die fast ein halbes Jahrtausend alten Worte wirken selten so frisch und so lebendig wie bei dieser Komposition. Das besungene Leuchten bricht sich förmlich durch die Wolken. Denn selbst wenn es an trüben Tagen das Licht verdeckt und nicht greifbar ist, so leuchtet es doch schön „so früh wie spät“.

„Das ist der Herre Jesus Christ, der ja die göttlich Wahrheit ist, mit seiner Lehr hell scheint und leucht', bis er die Herzen zu sich zeucht.“

Das Jahr der Komposition 1914 war für Reger ein Jahr der Schicksalsschläge: Zunächst erkrankt er selbst schwer, im Juni stirbt sein Dienstherr, Herzog Georg II. von Sachsen-Meinigen, und der erste Weltkrieg beginnt. Die zweite Strophe beginnt verhaltener, geheimnisvoller. Die Harmonien scheinen instabiler als in der Strophe zuvor, weichen aus und finden keinen Ruhepunkt.

„Er ist das Licht der ganzen Welt, das jedem klar vor Augen stellt den hellen, schönen, lichten Tag, an dem er selig werden mag.“

Mit der dritten Strophe gewinnt die Komposition die Sicherheit und Gewissheit der ersten Strophe wieder zurück. Denn manchmal muss man nur die Augen öffnen, um zu sehen, was direkt davor steht und einem jeden Tag neu geschenkt wird: ein heller, schöner, lichter Tag.

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Kantor Rufus Brodersen, Stadtilm