„Jauchzet, frohlocket“ - und das jetzt? Ja, gerade jetzt...

Nach vielen Monaten pandemiebedingter Pause sang der Arnstädter Bachchor wieder im Gottesdienst. Mitten im Sommer erklang „Jauchzet, frohlocket“ aus Bachs Weihnachtsoratorium.

Als mein Sohn zum ersten Mal solch eine „andächtige Musique“ (Zitat J.S. Bach) mit Bewusstheit hörte, war er vier oder fünf, und sagte hinterher zu mir: Ich habe Gott gehört! Ich frage mich: Braucht es eine Predigt? Wir haben sie doch schon gehört! Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen, lass dir die matten Worte gefallen …

Matt. Wie in der Wiederaufnahme der Proben vor zwei Wochen, in dieser Kirche. Eine gewisse Kurzatmigkeit war wohl zu spüren - nach Wochen ohne Übung oder mit wenig Übung, jede, jeder nur für sich allein zuhause - vor dem Computer mit den Trostmails des Kantors und den Stücken, die er zur Übung empfahl. Kein Wunder, dass die Luft etwas knapper war.
Der Kantor war dennoch entschlossen: Egal wie es klingt, wir machen das. Wir fangen wieder an. Diese Stücke kann jeder im Schlaf. Das kommt aus dem Herzen. Das kommt uns über die Lippen. Da war diese trotzige Idee aus dem Winter: Das Weihnachtsoratorium wird nicht um ein Jahr verschoben, sondern genau um ein halbes Jahr. Vom 27. Dezember auf den 27. Juni. Weihnachten in der Mitte des Jahres. Wir machen etwas Verrücktes in einem verrückten Jahr.

Wie fühlt sich das an? Gott jedenfalls liebt Überraschungen! Ein bisschen ist es die Probe aufs Exempel. Taugt die Botschaft bei 25 Grad? Wird das Kind uns finden? Wenn es heiß ist, und keine Kerzen brennen am nicht vorhandenen Christbaum? Kommt das Kind zu uns, auch wenn wir nicht mehr dieselben sind? Wenn manches sich verändert hat? Wenn Menschen nicht mehr da sind? Kommt das Kind zu uns, den sozial Distanzierten, die wir der Gemeinschaft entwöhnt sind? Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen, tröstet uns und macht uns frei.

Gott zögert nicht. Vor der Zeit platzt er wie ein Frühgeborenes in unser Leben. Es braucht unsere Hilfe und Wärme, es braucht den Sauerstoff zum Atmen. Aber es ist da. Und es stellt sein Hiersein nicht in Frage. Wie selbstverständlich so ein Kind eben auf einmal da ist. Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unsern Augen, was wir betrachtet haben und unsre Hände betastet haben, …. das verkündigen wir auch euch.

Die, die es vor uns geglaubt haben, unsere Mütter und Väter im Glauben, haben davon erzählt. Haben es weitergegeben. Haben es ge-liked und geteilt – auf ihre Weise. Das eine Kind hat unzählige Follower. Mehr als Sterne am Himmel, - Engel inklusive. Denn dieses Kind ist die Liebe Gottes in Person. In ihm wurde Gott sichtbar und anfassbar. Was wir gesehen und gehört haben, das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und unsere Gemeinschaft ist mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus.

Gemeinschaft. Bachs Weihnachtskantate stiftet Gemeinschaft mitten im Sommer. Der Predigttext beschreibt diese Gemeinschaft: Sie ist nicht nur unsere Gemeinschaft. Aber auch wenn sie nur das wäre, wäre sie auch schon gut und wichtig: Das müssen wir uns doch auf der Zunge zergehen lassen: Unsere Gemeinschaft. ENDLICH wieder erleben wir Gemeinschaft: kohlenstofflich, leiblich! Wir bleiben nicht die sozial Distanzierten. Wir wollen und brauchen Gemeinschaft. Endlich wieder singen. Endlich wieder Konzerte. Endlich wieder Publikum. Endlich wieder große Gottesdienste.

Und doch ist diese Gemeinschaft mehr als nur ein großes WIR. In ihr wirkt Christus, die Liebe in Person. In ihr steckt also noch eine andere Dimension. Die Dimension der Ewigkeit. Sie ist verwoben in unserem Netz. Ein unsichtbarer Faden darin, der uns mit Gott verbindet.Und die Gemeinschaft ist auch die Gemeinschaft der Glaubenden, die vor uns gelebt haben. Wir sind verbunden mit den Müttern und Vätern im Glauben.

Auch mit Johann Sebastian Bach, der in dieser Kirche musiziert hat. Für mich ist das immer wieder ein Gänsehautmoment: Auch er war hier. Und wir musizieren hier, am selben Ort, seine Musik. Sichtbare und unsichtbare und ewige Gemeinschaft. Ein Netz, das trägt und verbindet. Ein Netz, das auffängt. Sinnlich erfahrbar und Glaubenswirklichkeit zugleich. Ganz groß und ganz klein und ganz weit.

Wie geht das nur alles zusammen? Ganz klein fing es auch mit Jesus an. Klein, wie es mit jedem Menschen anfängt. Immer werden wir seine Geschichte erzählen oder singen und  musizieren. Denn dann spüren wir: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis.

Elke Rosenthal, Superintendentin in Arnstadt (Predigt vom 27.06.21 in der Arnstädter Bachkirche zu 1. Johannes 1, 1-5)