Gott wohnt ganz nah bei uns

Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber erzählte einst die folgende Begebenheit:

Einmal brachte eine Mutter ihren Sohn zum Rabbi. Da fragte der Rabbi den Jungen: „Ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt.“ Der Junge antwortete: „Und ich gebe dir zwei Gulden, wenn du mir sagen kannst, wo er nicht wohnt.“

Zweifellos ist das eine schwierige Frage, die hier angesprochen wird. Seit Tausenden von Jahren beschäftigt sich der Mensch damit.

Wo ist Gott? – eine angesichts von Leid und sinnlosen Schreckenserfahrungen verzweifelt, vorwurfsvoll oder auch höhnisch gestellte Frage des modernen Menschen.

Die verschiedensten Antworten sind im Laufe der Jahrtausende gegeben worden auf die Frage, wo denn Gott sei bzw. wo er wohne. In der Bibel (Apostelgeschichte, Kap. 17) wird berichtet, wie Paulus einst in Athen versuchte, seiner griechisch-philosophisch gebildeten Hörerschaft eine Antwort auf die Frage nach dem einen Gott zu geben. Dabei betont Paulus, dass Gott nicht in Tempeln wohnt, sondern dass er selbst „allen Menschen Leben, Atem und alles Übrige gewährt“. Gott ist ganz in unserer Nähe, sagt Paulus: „wir leben in ihm, wir bewegen uns in ihm, wir sind in ihm“. Er ist der Ursprung und das Ziel, die Hand des Lebens, die uns hält, das, was uns Hoffnung, Geborgenheit und Kraft für unser Leben gibt...

In dem Spielfilm „American Beauty“, der vor ca. 20 Jahren sehr erfolgreich in den Kinos lief, fand ich diese Erfahrung der Nähe Gottes in einer Szene wunderbar dargestellt.

Da macht ein Jugendlicher, dessen Leben von einem despotischen Vater geprägt ist, der seine Regeln und Maßstäbe teilweise auch mit Gewalt durchsetzt, die Entdeckung von „so viel Schönheit auf der Welt“. Dies geschieht zum Beispiel, als er das Spiel des Windes mit Laubblättern und einer Plastiktüte filmt. Und er berichtet davon, wie ihm dabei klar geworden ist, „dass hinter allen Dingen Leben steckt, und diese unglaublich gütige Kraft, die ihn wissen lassen wollte, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben...“

Der Junge spricht von einer „unglaublich gütigen Kraft“ und man kann regelrecht spüren, wie diese Kraft ihm Hoffnung und Halt für sein Leben gibt. Meines Erachtens ist das eine wunderbare Gotteserfahrung, die in diesem Spielfilm zum Ausdruck kommt.

„Sage mir, wo Gott wohnt“, hatte ein Rabbi einst einen Jungen gefragt. Gott wohnt ganz nah bei uns, würde ich in Anlehnung an Paulus sagen. Wir tun uns jedoch oft schwer damit, seine Nähe wahrzunehmen. Die Hektik und der Lärm des Alltags lassen uns die leisen Töne Gottes in unserem Leben leicht überhören.

Trotzdem ist sie da, diese „unglaublich gütige Kraft“, trotzdem sind wir umgeben von der Hand des Lebens, die uns hält. Es tut gut, diese Nähe Gottes wenigstens von Zeit zu Zeit bewusst zu spüren. Vielleicht helfen schon ein paar Minuten der Besinnung jeden Tag, Gottes Spuren in meinem Leben zu entdecken!

Matthias Schubert, Pfarrer im Kirchenkreis Arnstadt-Ilmenau