Hoffen gegen den Augenschein

Heute, am Tag an dem ich diese Zeilen schreibe, ist Nikolaustag. „Laßt uns froh und munter sein und uns recht von Herzen freun...“

Heute früh lese ich in der Zeitung, dass Putin damit droht: Wenn die Amerikaner aus dem INF-Abrüstungsvertrag aussteigen, werde Russland in „entsprechender Weise“ reagieren. Die USA ihrerseits werden ihre Verpflichtungen „nach dem INF-Abrüstungsvertrag über atomare Mittelstreckenraketen“ in 60 Tagen aussetzen, da Russland mit der Entwicklung und Stationierung des Raketensystems 9M729 den INF-Vertrag gebrochen habe. Kindergartenverhalten? - Mag sein, allerdings ein für viele Menschen sehr, sehr gefährliches; noch dazu ein extrem teures. Hoffentlich geht das gut.

Auch heute werden die vorweihnachtlichen Glocken süß klingen und die Glühweinverkäufer auf dem Erfurter Weihnachtsmarkt werden ein gutes Geschäft machen. Was heute beim Klimagipfel in Kattowitz verhandelt werden wird, bleibt ungewiss, ob gar ein positives Ergebnis erzielt werden kann, erst recht. Fest steht, dass der CO2-Ausstoß weiter steigt. Wir haben eine Ahnung von den Folgen.

Auch heute werden wieder Menschen verhungern oder in Kriegen sterben (manche durch Waffen "Made in Germany"), auch heute werden Menschen auf der Flucht sein, abgewiesen werden, vielleicht im Mittelmeer ertrinken oder in Lagern in Lybien vergewaltigt. Wir wollen das alles gar nicht immer so genau wissen.

„Tochter Zion freue dich, jauchze laut, Jerusalem... ja er kommt, der Friedefürst.“ Obwohl wir so singen, oder es zumindest aus dem Lautsprecher so dudeln hören, sieht es gerade nicht danach aus, als ob die große Friedensvision des Propheten Jesaja von den „Schwertern zu Pflugscharen“ kurz vor der Realisierung steht. Eher denkt man an die letzten Wochen vor der Sintflut.

Was also machen wir mit unserem so starken Bedürfnis nach Idylle? Irgendwie muss es doch ein bisschen heile Welt geben, schon weil wir uns doch so sehr aus unserer unheilen Welt heraussehnen. Unser anstrengendes Leben braucht doch Geschichten wie die von Ochs und Esel und dem holden Knaben im lockigen Haar. Es muss doch am Schluss alles gut werden. Wenigstens in der Weihnachtszeit muss solcher Kindertraum doch geträumt werden dürfen – und sei es bei Plätzchen und Wintertee.

In der Kirche ist der Advent eine Fastenzeit. Wir warten auf das gute Ende, darauf, dass letztlich alles gut wird oder das Gute wenigstens ein bisschen sichtbarer wird. Aber wir wissen auch, dass das große Welt-Happy-End auch an diesem Weihnachten wahrscheinlich ausbleibt.

Es bleibt die Hoffnung (und dabei kann vielleicht sogar das Idyll helfen). Darauf, dass diese Welt nicht immer so bleiben muss, wie sie ist. Darauf, dass gegen den augenscheinlichen Weltwahnsinn sich letztlich doch das Gute durchsetzt - wie auch immer, das wollen wir dem lieben Gott überlassen. Fest steht lediglich, dass, so oder so, wir in jedem Fall daran beteiligt sind.

Im ersten Adventslied des evangelische Gesangbuchs heißt es „Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist..“ Auch wenn die Sprachbilder des Liedes alt sind, vielleicht kann das ein Anfang sein.

Eine schöne und besinnliche restliche Adventszeit wünscht Ihnen

Kantor Hans-Jürgen Freitag, Ilmenau.