Die richtige Kleidung
Aus dem Fenster meines Büros habe ich einen guten Blick auf den Innenhof der Justizvollzugsanstalt.
Besonders belebt ist dieser, wenn der so genannte „Arbeitsumschluss“ stattfindet. Da gehen die Gefangenen von den Hafthäusern in die Werkstätten und die Schule oder zurück. In der Regel tragen sie dabei ihren weinroten Trainingsanzug und ein weißes T-Shirt. Gewissermaßen uniformiert sind sie unterwegs. So lässt sich für die Bediensteten mit einem schnellen Blick ergreifen, wo die Inhaftierten sich gerade befinden. Mancher Häftling würde sicher gerne öfter seine eigenen Klamotten anziehen, den eigenen Stil umsetzen. Hier drinnen ist das nicht möglich. Zumindest nicht äußerlich. Aber vielleicht ja wenigstens innerlich?
In der Bibel gibt es einen Vers im Brief des Paulus an die Kolosser, in dem es – etwas verkürzt – heißt: „So zieht nun an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.“
Vielleicht ist das sowohl für hinter der Mauer als auch davor eine gute – innerliche – Kleidung: Ein bisschen Mitgefühl haben für den, der sich zurückzieht. Ein bisschen Freundlichkeit zeigen – auch wenn mir eigentlich nicht danach ist. Ein bisschen Geduld haben – auch mit mir selbst.
Ein bisschen mehr Sanftmut – auch wenn vielleicht die Wut in mir brodelt. Und der Gürtel, der all das zusammenhält und der der Grund meines Handelns sein soll, ist die Liebe. Jesus nannte es genauer gesagt Nächstenliebe. Und dabei war für ihn nicht die Herkunft, der Familienstand oder die Haarfarbe – und auch nicht die begangenen Taten – seines Gegenübers ausschlaggebend. Für ihn war wichtig, dass man sich gegenseitig annimmt: und zwar als Mensch. Ich glaube, wenn sich dieses Band der Nächstenliebe noch mehr durch die Welt schlängeln würde – auch über Mauern und Grenzen hinweg – dann hätten wir eine noch l(i)ebenswertere Welt.
Helfried Maas, Gefängnisseelsorger in der JVA Arnstadt