12.01.2015
Regionalbischöfin warnt vor "Sügida"

Angesichts der "SüGIDA"-Demonstration in Suhl hat Pröpstin Kristina Kühnbaum-Schmidt dazu aufgerufen, kulturelle und religiöse Vielfalt als Bereicherung statt als Bedrohung zu sehen. Die Regionalbischöfin des Propstsprengels Meiningen–Suhl, zu dem auch unser Kirchenkreis gehört, mahnte, angesichts der brutalen Terroranschläge in Frankreich nicht den Islam pauschal zum Sündenbock zu machen. Zugleich forderte sie eine offene Debatte in den Städten und Gemeinden über die Zukunft des Gemeinwesens ein, bei der die Sorgen und Ängste der Bürger ernst genommen werden müssten.

Hier die Rede der Regionalbischöfin im Wortlaut:

„Südthüringen bleibt bunt – das klingt so selbstverständlich, beinahe
wie eine Floskel. Aber das ist es nicht. Diese drei Worte fassen
zusammen, was uns wichtig ist, woran wir festhalten. So ist dieses Motto
,Südthüringen bleibt bunt’ ermutigend und zuversichtlich. Die brutalen
Terroranschläge in Frankreich lösen Entsetzen aus und machen uns
fassungslos. Heute gilt den Opfern und ihren Angehörigen und Freunden
unser Mitgefühl, heute teilen wir ihren Schmerz und ihre Trauer. Wir
sagen Nein zu Ausgrenzung, Gewalt und Terror jeder Form in jedem Land
dieser Erde. Wir mahnen uns aber auch selbst: Trauer, Entsetzen und
Angst dürfen nicht zu neuem Hass und neuer Gewalt werden. Auch deshalb
demonstrieren wir friedlich und zeigen Vielfalt: Südthüringen bleibt
bunt!

Hier in Suhl leben Flüchtlinge. Es werden mehr, die hier aufgenommen
werden. Und das ist gut so. Sie sind geflohen vor Gewalt und Not, die
jeder von uns ebenso fürchtet wie sie. Wir treten ein für eine
Willkommenskultur gegenüber Flüchtlingen. Freuen wir uns über alle, die
zu uns kommen und die wie wir selbst in Freiheit und Demokratie
menschenwürdig leben wollen, die sich Meinungs- und Pressefreiheit,
freie Religionsausübung wünschen.

Ein Satz der Bibel sagt: ,Gastfrei zu sein vergesst nicht, denn so
haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.’  In Südthüringen,
gerade hier in Suhl, ist Gastfreundschaft immer wieder zu erleben. Quer
durch politische und religiöse Überzeugungen engagieren sich Bürgerinnen
und Bürger ehrenamtlich, sind hilfsbereit und unterstützen Flüchtlinge
und Asylbewerber. So wird Willkommenskultur gelebt. Das ist aber keine
Einbahnstraße. Wenn wir die Menschen, die zu uns kommen, kennenlernen,
wenn wir ihre Geschichten hören und ihnen helfen, hier zurechtzukommen,
dann ist das nicht nur eine Aufgabe, sondern es kann uns selbst reicher
machen. Kulturelle und religiöse Vielfalt muss nicht als beängstigend
und bedrohlich, sondern kann als bereichernd und belebend erfahren und
empfunden werden.

Darüber ist zu reden. Wir brauchen eine offene Debatte darüber, wie wir
in diesem Land, in dieser Region, in dieser und anderen Städten und
Gemeinden zukünftig leben wollen. Wir brauchen den lebendigen Austausch
mit allen in unserer Gesellschaft. Diese Debatte muss weit und offen
geführt werden: Es wird dabei auch um anstehende soziale Fragen
beispielsweise die Altersversorgung gehen, um die Befürchtung, im
globalen Wettbewerb nicht mithalten oder bestehen zu können, um die
Kluft zwischen Arm und Reich, darum, wie wir uns als Bürgerinnen und
Bürger an politischen Entscheidungen beteiligen wollen. Eine solche
Debatte erfordert Klarheit und Besonnenheit, um gemeinsam Lösungen zu
finden. Aber klar muss dabei auch sein: Fatale Sündenbockmechanismen,
Hass und Verachtung schürende Vorurteile und pauschale
Schuldzuweisungen, zum Beispiel an einzelne Religionsgemeinschaften wie
den Islam, haben in einer solchen Debatte keinen Platz. Sie sind ebenso
entschieden zurückzuweisen wie die Instrumentalisierung und der
Missbrauch von Religionen für Menschenverachtung, Gewalt und Krieg.

Aus Sicht des christlichen Glaubens gilt: Mit dem doppelten Gebot, Gott
und den Nächsten zu lieben, ist es unvereinbar, andere Menschen zu
verachten, auszugrenzen, zu verfolgen und zu verletzen oder ihnen ein
Leben in Freiheit und Menschenwürde zu verweigern. Und wer immer sich
auf das christliche Abendland beruft, muss wissen: Der christliche
Glaube hat, ebenso wie das Judentum und der Islam, seine Ursprünge im
Nahen Osten - dorthin führte der Stern über der Krippe in Bethlehem
Schritte und Herzen, von dort aus scheint das Licht der Liebe und der
Barmherzigkeit Christi in alle Welt.

Gottes- und Nächstenliebe brauchen Klarheit - das Leben und die Würde
jedes Menschen verdienen und brauchen Schutz. Vor Gott sind alle
Menschen gleich – ohne Ausnahme.

Es gilt deshalb, einander Respekt und Anerkennung entgegenzubringen und
zu zeigen, Begegnung und Dialog zu pflegen. Stärken wir uns gegenseitig
darin, Brücken zu bauen zwischen unterschiedlichen Kulturen und
Religionen, und auch zwischen verschiedenen sozialen Milieus. Treten wir
gemeinsam ein für Nächstenliebe und Gemeinsinn, pflegen wir eine
Willkommenskultur. Zeigen - demonstrieren - wir alle zusammen, heute und
hier, friedlich und dankbar: Südthüringen ist und bleibt bunt!“