Prüfung

Guter Rat ist teuer. Besonders in unübersichtlichen Zeiten wie der unsrigen: Wenn eine merkwürdige Seuche sich ausbreitet.

Wenn wichtige, aber auch folgen- und risikoreiche Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Wenn man nicht mehr genau weiß, wem man glauben kann. Denen, die sagen, alles halb so schlimm? Das geht bald vorüber. Oder denen, die hinter allem und jedem eine Verschwörung vermuten? Oder denen, die im Brustton der Überzeugung meinen: Die Kanzlerin handelt klar und alternativlos richtig?

Ich gebe zu, ich bin in diesen Corona-Zeiten auch nicht immer wirklich sicher, was letztlich richtig und gut oder was falsch und schlecht ist. Ich bleibe skeptisch. Mir missfallen wohlfeile Beschwichtigungen ebenso wie wechselseitige Denunziationen. Mit gefällt aber der Rat des Apostels Paulus aus dem Brief an die kleine Gemeinde in Thessalonich, dem heutigen Saloniki, geschrieben etwa 50 n.Chr.: „Prüfet alles und das Gute behaltet.“

Gut gebrüllt Löwe, werden einige, Skeptiker wie ich, einwenden. Denn: woher weiß dieser Paulus, eigentlich was „gut“ ist? Ganz einfach: Weil er sich und sein Leben in einem tiefen Grundvertrauen getragen weiß. In einer Geborgenheit, die ihn auch in unübersichtlichen Zeiten und in tödlicher Gefahr gelassen sein lässt. Gleich im ersten Satz des Briefes macht er deutlich: „Wir danken Gott allezeit für euch und denken an euch in unserem Gebet.“

Danken und Beten. Sind das nicht altmodische, vollkommen aus der Zeit gefallene Dinge? Großmutterkram? Nein. Im Gegenteil! Wer diese beiden „Übungen“, diese beiden Lebenshaltungen kennt und praktiziert, weiß, dass sie eine wichtige Voraussetzung haben: Die ehrliche, nüchterne Überzeugung, dass wir uns nicht uns selbst verdanken. Dass ich als Mensch ein Leben lang angewiesen bin und bleibe: als Kind auf die Fürsorge meiner Eltern, als Erwachsener auf die Liebe meiner Frau oder meines Mannes, auf den Respekt meiner Kollegen und Nachbarn, darauf, dass ich gesund bleibe. Geb ́s Gott!

Und weil diese Ehrlichkeit und diese Geborgenheit alles andere als selbstverständlich sind, hilft es, möglichst täglich darum zu bitten. Zehn Minuten der Stille am Morgen. Persönliche Zeit, in der ich darum bitte, dass der Tag gut werden möge. Dass die, denen ich in Liebe und Sorge verbunden bin, nicht krank werden. Dass ich in den politischen Spannungen möglichst gelassen sein und bleiben kann. Und weitere zehn Minuten der Stille am Abend. Zeit, um Danke zu sagen, für das, was mir gelungen ist, was mir geschenkt wurde: das Lächeln meiner Enkelin, die Blumenpracht im Garten, die E-Mail oder whatsapp-Nachricht eines Freundes oder einer Freundin: „Ich bin ja so dankbar, dass es dich gibt!“ Danken und Beten stärken unsere Geborgenheit und unserer Urteilsvermögen. „Prüfet alles und das Gute behaltet.“ Das ist doch ein guter Ratschlag, oder? Und er ist überhaupt nicht teuer!

Pfarrer Dr. Thomas A. Seidel, Weimar