Zwei Welten im Kontrast

Sie hielten sich immer noch versteckt, 50 Tage nach Ostern.

Sie wussten nicht, wie es weitergehen würde, die Freunde von Jesus. Sie hatten Angst. Angst macht eng. Angst lähmt. Wer Angst hat, geht nicht raus, will nicht unter Leute. Vor allem nicht unter Leute, die für einen potenziell gefährlich sein könnten, die vielleicht ganz anders drauf sind, anders denken und anders sind. Die gefühlt so gar nicht zu einem passen.

So bleiben die Menschen in ihren Schubladen. Gut sortiert.

Auf einmal kommt Bewegung in die Sache. Gott mischt die Jünger auf, lässt ein Brausen entstehen, da setzt sich was auf ihre Köpfe, ein Licht von oben, da sickert was in ihre Herzen, verwandelt sie, macht es hell, sie stehen auf, gehen raus, fangen an zu reden mit wildfremden Leuten. Pfingsten ist eine Befreiung.

Schubladen öffnen sich. Es geschieht Verständigung. Menschen, die vorher nichts miteinander zu tun hatten, reden miteinander. Kommen sich näher. Haben das Gefühl, sie sprächen eine Sprache!

So ist unser Gott. Wo Brücken zwischen Menschen entstehen, wo Leute anfangen, miteinander zu reden, ist ER am Werk. Wo Menschen aus ihrer Angst rausfinden, weht Gottes Geist.
Ich wünschte mir so sehr solch ein Brausen in Moskau. Einen Wind, der Hass und Gewalt wegbläst. Jetzt sind schon mehr als 100 Tage Krieg.

Ich sehe heute zwei Welten in scharfem Kontrast:
Eine Welt mit Gottes Geist und eine Welt ohne seinen Geist.

Ohne seinen Geist: da sind Hass, Gewalt und Krieg. Traumata entstehen oder kommen wieder hoch, Menschen zerbrechen, Städte werden zu Trümmerlandschaften. Und als wäre das noch nicht genug: eine Hungersnot droht am Horizont.

So soll es nach Gottes Willen nicht sein.

Die Pfingstgeschichte (Apostelgeschichte 2, 1-18) erzählt von der Welt, in der Gottes Geist weht: Da werden Menschen zusammengeführt, inspiriert, da entsteht ein freundlicher Raum der Begegnung. Die Pfingstgeschichte ist eine Gegengeschichte zu dem, was wir heute erleben.  

Pfingsten war ursprünglich ein jüdisches Fest. Jesus war Jude und die Jünger waren es auch. Jerusalem war voll mit Menschen aus aller Welt, die dort Schawuot feiern wollten, das jüdische Wochenfest. Die ersten Früchte werden geerntet und Gott dargebracht. Erntedank. Und an die Tora wird bei diesem Fest erinnert, an den Bund zwischen Gott und seinem Volk. Die Tora, das Buch der Weisung, sie gibt Orientierung. Ist es nicht so, dass wir heute mehr denn je Orientierung brauchen?

Pfingsten, diese jüdisch-christliche Geschichte, erzählt, wie Gottes Geist die Menschen inspiriert, verbindet und an seinem Wort orientiert: Menschen verschiedener Nationalitäten. Ukrainer waren bestimmt auch da beim ersten Pfingsten - und Russen. Und sie haben einander verstanden, so stelle ich mir es vor.

Die Jüngerinnen und Jünger werden zu Brückenbauern. Brückenbauer sollen wir sein, auch heute. Kleines Detail: Auf jeden, auf jede setzte sich das Licht. Alle können Brückenbauer werden.

Ein Beispiel: 1,4 km von Paulinzella entfernt, wurde kürzlich der Mönchsbrunnen wieder aufgebaut. Anfang der 1990er Jahre, an einem Himmelfahrtstag, war er zerstört worden - durch Vandalismus. Wohl ein Herrentag, der aus dem Ruder gelaufen war.
Nun ist der Brunnen mit Hilfe vieler Menschen wieder auferbaut worden. Wir haben vor wenigen Wochen seine Fertigstellung gefeiert und ihn wieder eingeweiht. Ursprünglich war er von den Mönchen aufgebaut worden, die hier lebten.  Wohl diente er auch als Taufbecken. Das ist für mich eine wunderbare Vision: Einmal hier, in der Natur, mitten im Wald, die Heilige Taufe zu feiern. Begleitet von der Musik der Vögel!

Der Wiederaufbau brauchte eine lange Zeit der Planung. Da redet der Denkmalschutz mit, es wurde in den Archiven recherchiert und nach der Geschichte dieses Brunnens geforscht, es mussten Spenden gesammelt werden, ein Steinmetz gefunden und und und. Das alles hat ein paar Jahre gedauert. Wie schnell ist etwas zerstört und wie lange braucht der Wiederaufbau. Aber so ist Gottes Geist! Er möchte auferbauen! Und er gibt die Energie zum Dranbleiben.

Noch ein – ganz anderes – Beispiel für das Dranbleiben und Brückenbauen:
Nun kommen auch immer mehr Menschen aus der Ukraine bei uns im Ilm-Kreis an. Ganz nah von hier, in Dörnfeld, sind einige untergebracht. Alle, die hier leben, wissen, wenn man kein Auto hat, ist man ziemlich aufgeschmissen. Am Wochenende kommt man gar nicht vom Fleck. Da hilft der Kirchenbus der Gemeinden rund um Griesheim. Ein Freiwilliger fährt die Menschen umher. Das ist ein diakonischer Dienst der Gemeinden – zurzeit besonders für unsere Geflüchteten. Günther Erhardt ist unermüdlich unterwegs. Nach Ilmenau, nach Arnstadt, nach Suhl. Das ist pfingstliches Engagement vor und nach den Feiertagen.

Die Landrätin rief mich am Freitag an und sagte, dass jetzt akut mehr Wohnungen für Geflüchtete gebraucht werden im Ilm-Kreis. Vielleicht ist ja jemand hier, der sich heute sagt: Da melde ich mich.

Brücken bauen. An der Seite derer stehen, die Hilfe brauchen. Niemanden verloren geben. Einander beistehen, sich miteinander verbinden: Juden, Christen, Muslime, Menschen mit und ohne Religion. Hiesige, Zugezogene und Geflüchtete. Gottes Geist bringt uns zusammen.

Amen, so sei es unter uns.

Elke Rosenthal, Superintendentin des Kirchenkreises Arnstadt-Ilmenau