Vom Beten

„Dass wir beten sollen, steht in der Bibel, was wir beten sollen, steht in der Zeitung“, so hat es einmal Martin Luther King ausgedrückt.

Der Sonntag Rogate heißt direkt "Betet!" – auf Lateinisch. Ich denke, wenn Sie diese Zeilen lesen, dann haben Sie sicher Ihre eigenen Vorstellungen zum Thema Gebet im Kopf. „Jetzt hilft nur noch beten!“ Oder „Not lehrt Beten!“, „Gott sei Dank!“ das sind vielleicht die im Alltag geläufigsten Formen des Gebets.

Mir fällt auch das Bild von Albrecht Dürer ein: „Die betenden Hände“ – oft in Wohnstuben und Küchen zu finden. Auch unsere Fürbittengebetswand in der Jakobuskirche und so manches Gebets- und Besucherbuch in Kirchen und Krankenhauskapellen fällt mir ein, genauso auch eine still entzündete Kerze auf einem Leuchter oder auf einer Fensterbank.

Wenn ich mit Konfirmandinnen und Konfirmanden über das Beten spreche, dann geht es schnell um das ganz Wichtige im Leben: um Gesundheit, um Bewahrung, um Schutz und um die Familie, um Freunde, auch um Corona und auch um Hoffnung auf Besserung, um wieder Rausgehen können und Andere treffen. Gebetsanliegen aus dem Jahr 2021!

Im Gebet reden wir, reden wir zu Gott, so wie es uns gerade zumute ist und das unabhängig, ob ich mich nun als gläubiger Mensch oder Kirchgänger oder mich sonst wie als religiös ansehe. Ist das dann aber schon Glaube? Ich denke, dass ist nicht wichtig. Menschen können auch ungläubig beten. Die Bibel ermuntert dazu, mit Gott wie mit einem guten Freund, einer guten Freundin zu reden.

Alles was uns bewegt, können wir vor Gott ausbreiten: Freude und Dank, Bitten und Klagen. Beten kennt die verschiedensten Ausdrucksformen, hochsprachlich gefügte Texte, ganz spontane Rufe vor Freude oder Entsetzen, manchmal hilflos gestammelte Worte, Stoßgebete oder literarisch wertvolle Reime. Und doch können wir auch unsere Wut, unsere Enttäuschungen, unsere Traurigkeit ins Gebet nehmen. Mit geliehenen Worten oder mit eigenen. Egal.

Beten heißt nicht nur, zu Gott reden. Beten heißt auch, Gottes Stimme hören. Das kann auch bedeuten: Still werden, die eigene Leere spüren und Gott bitten, dass er sie füllt. „Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen, und zuletzt wurde ich ganz still“, so fasst Sören Kierkegaard, Philosoph und Theologe des vorletzten Jahrhunderts seine Erfahrungen mit dem Gebet zusammen.

Andreas Wucher, Pfarrer in Ilmenau.