Nach der Auferstehung

Der Bibeltext in Matthäus 17, 1-9 erzählt von Gipfelmomenten.

Von überwältigenden Erfahrungen, die sich tief in uns eingraben – die uns berühren, freuen, sprachlos machen, staunen lassen, dankbar machen, oder auch ängstigen. Existentielle Momente, die viele mit Gott verbinden.
 
Diese Momente vergehen. Sie sind flüchtig und fragil. Wir können sie nicht festhalten. Ich möchte Ihnen zwei persönliche Gipfelmomente erzählen: Die Geburt meines ersten Kindes. Es im Arm zu halten, war ein unbeschreibliches Glücksgefühl. Für mich so etwas wie eine Gotteserfahrung.

Der andere war die Aussegnung meiner Mutter, nachdem sie gestorben war. Wir hatten sie gewaschen und zurechtgemacht, sie lag in ihrem Bett, als würde sie schlafen, wir schmückten sie mit Blumen aus dem Garten und meine Vikarin hat sie ausgesegnet. So konnten wir sie loslassen.

Zwei existentielle Momente: Leben kommt und Leben geht. Wir nehmen es aus Gottes Hand und wir legen es in seine Hände zurück.

Bei Matthäus lesen wir: Und nach sechs Tagen. Nach sechs Tagen. Das erinnert an die Schöpfung. Nach sechs Tagen Arbeit kam der siebte Tag – der Tag der Unterbrechung. Der Tag der Ruhe, der Pause, der Tag des Hörens auf Gottes Worte, die uns ermutigen, neu ausrichten, uns erden und uns in die Gemeinschaft von Juden und Christen stellt. Und in die Gemeinschaft vor Ort.

Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. (17,1)
Mal allein sein, oder nur in einer kleinen Gruppe vertrauter Menschen. Jesus brauchte das. Und Berge bestieg er gerne, wie viele von uns das auch tun: erst den mühsamen Aufstieg, der den Kopf frei werden lässt und die Gedanken klärt. Dann der Ausblick in die Weite: Alles sortiert sich. Meine Sorgen werden kleiner angesichts von Weite und Höhe. Ich werde gelassen und ordne mich wieder ein: Ich bin nicht der Nabel der Welt.

Und er (Jesus) wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. (2+3)

Auf einmal wird es österlich. Jesus wird verwandelt in eine leuchtende Gestalt, hell und weiß. Mose und Elia sind plötzlich bei ihm und sprechen mit ihm. Jesus - eingehüllt in das strahlende Licht der heiligen Schriften Israels. Mose repräsentiert die Gebote, die er - auch auf einem Berg - von Gott empfangen hat. Elia steht für die Propheten Israels. Auch er machte wichtige Gotteserfahrungen auf Bergen. Mose, Elia und Jesus - diese drei gehören zusammen.

Das Wort ergreifend aber sagte Petrus zu Jesus: „Herr, hier ist gut sein. Wenn Du willst, werde ich hier drei Zelte errichten, für Dich eines, für Mose eines und für Elia eines.“ (4)

Petrus ist Fachmann dafür, wie man in bester Absicht immer das Falsche sagt oder tut. Ein leuchtender Moment ist ein leuchtender Moment. Man kann darin nicht wohnen! Kaum hat er es ausgesprochen, geht es schon weiter:

Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! (5)

Die Wolke: ein altes biblisches Motiv. Eine Wolke leitete die Israeliten ins gelobte Land. Und die Stimme aus der Wolke, die kennen wir auch schon: Bei der Taufe Jesu sagte die Stimme zu Jesus, „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Jetzt kommen noch drei Worte hinzu: "Hört auf ihn!“

Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. (6a)
Wie die Hirten auf dem Felde – an Weihnachten - fürchteten sie sich sehr.
Und Jesus kam hinzu, berührte sie und sagte: „Steht auf und fürchtet euch nicht. Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemanden als Jesus allein. (7-8)
Der lichte Moment war vorbei.
Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. (9)

Eine Bergwanderung gibt Klarheit im Kopf. Diese Bergwanderung gibt Klarheit über Jesus. Er gehört mit Mose und Elia zusammen. Christen und Juden müssen zusammenstehen. Er ist der, der hinauf- und hinabgeht. Der nicht im Glanz bleibt, weil es sich dort gut leben ließe. Er will wieder runter in die Ebene, hinein in die Drangsale der Welt, in einen Krieg, der Europa streift und die ganze Welt durcheinanderbringt, er will bei den Menschen sein. Immanuel ist doch sein Name! Jesus. Gott hilft. Darum geht er hinunter. Dahin, wo es weh tut. Auch hin zu einer Kirche, die immer kleiner wird, hin zu denen, die alles zusammenzuhalten versuchen. Bei ihnen sein. Immanuel. Gott hilft.
 
Eine Bergwanderung gibt Klarheit. Aber innere Klarheit ist flüchtig. Sie muss immer wieder gefunden werden. Die Klarheit des Lichts um Jesus dauerte nur einen Augenblick, nur einen Moment. Wie schön wäre es, solche Momente festhalten zu können. Wer kennt das nicht, wenn wir alte Fotos anschauen, uns zuerst freuen, aber dann eine Wehmut spüren und den feinen Stich im Herzen: Das ist vorbei und es kommt nie wieder…

Mit dem Smartphone die atemberaubende Szene festhalten, die ich gerade erlebe, – das machen viele. Ich war hier! Das Selfie wird am Instagram-Hotspot der Location eingestellt. Ver-ewigt.

Petrus ist mir so sympathisch! Ich verstehe ihn. Ich möchte auch gerne vieles festhalten: Einen Pfarrer für jedes Dorf. Eine Gemeinde, die sich regelmäßig trifft. Wachsendes Interesse an Kirche. Jugend, Nachwuchs! Das alles soll doch bitteschön bleiben oder besser gesagt: wiederkommen!

Menschen wollen immer festhalten. Das Bewährte gibt Sicherheit. Glaube wurde in sichtbare Architektur umgesetzt. Kirchen um Kirchen wurden gebaut, um die Höhe und Weite Gottes fühlbar und erlebbar zu machen. Das sind keine Zelte oder Hütten, sondern große, teure, prächtige Häuser. Darin sind wohl alle Kirchen gut - im Festhalten, im Bewahren, im Regulieren und Kontrollieren. Und heute spüren wir: Vieles von dem wird nicht mehr gebraucht. Was kann bleiben und was sollen wir loslassen?

Jesus geht einen klaren Weg. Er hält nichts fest. Er geht wieder hinunter vom Berg. Hinunter in den Alltag. Hinunter in eine Welt voller Herausforderungen. Da ist ein Krieg, der Europa streift und das Ende ist nicht abzusehen. Da ist ein Planet am Abgrund. Da ist eine Kirche mit Alterserscheinungen. Für Jesus selbst, für ihn persönlich, ist das Hinuntergehen ein Abstieg in Zeit und Tod. Und er weiß es.

Die Jünger steigen ernüchtert hinab: „Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein“. Der Zauber ist vorbei, und jetzt müssen sie auch noch schweigen über das, was passiert ist, bis „nach der Auferstehung“.

Zum Glück sind wir schon weiter. Wir sind schon „nach der Auferstehung“. Wir wissen, wie es weitergegangen ist. Wissen, dass der Held getötet wurde und auferstand. Wir kennen die Geschichte, wie Gott die Endlichkeit zerbricht. Und doch ist „nach der Auferstehung“ mehr als eine Zeitbestimmung.

„Nach der Auferstehung“ ist eine Existenzweise. Die Existenzweise, zu der uns das Evangelium einlädt: Immer wieder aufzusteigen auf den Berg, zum Sehen, zum Schauen, zur Klarheit, um dann – mit Jesus - wieder in die Niederungen hinabzusteigen. In diesem Auf und Ab geht es immer ums Festhalten-Wollen und ums Loslassen. Festhalten-Wollen ist ok. Aber wir müssen auch das Loslassen üben-– wie die Jünger.

Die Stimme aus der Wolke rief: Hört auf ihn. Jesu letzte Worte, die er sprach, auf einem anderen Berg, als er sich von seinen Jüngern verabschiedete, lauteten: Ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Also, wovor fürchten wir uns?