Leib und Seele
Ich habe mein Ohr und mein Herz bei den Menschen, denn:
Als Seelsorgerin bin ich in meinen Gemeinden Unterpörlitz, Pörlitzer Höhe und Heyda, wie auch in den Ilm-Kreis-Kliniken unterwegs. Und wenn jemand sagt: 'Wie können Sie das nur? So viel Schlimmes!' Dann sage ich: 'Das ist doch gar nicht immer so!'
Für mich ist es zuerst einmal spannend, auf welchen Menschen ich treffe. Ich bringe da eine gewisse Neugier mit, so eine, die Menschen nicht aushorcht, sondern die einfach wissen möchte, was sich im Kosmos eines anderen Menschen so abspielt. Da bin ich manchmal ganz überrascht, und ein anderes Mal denke ich: Ja, das kenne ich auch. Am schönsten ist es, wenn jemand anfängt, aus seinem Leben zu erzählen, wenn die Augen beginnen zu leuchten und ein Lächeln das Gesicht zum Strahlen bringt.
Am Schlimmsten ist es, wenn es keine Worte gibt für das, was jemand erlitten hat. Das beobachte ich vor allem bei Patienten nach einem Herzinfarkt. Oft ist es kaum möglich, vom tiefen Bedrohtsein der eigenen Existenz, bis in die Grundfesten hinein, zu sprechen. Dann sind die Gespräche nur kurz, und ich bleibe nicht lange.
Manchmal gehen Patienten in den Repariermodus über. Die Gefäße ein bisschen aufpusten, ein Stent, Medikamente und dann noch ein bisschen Durchsicht wie beim Auto. Dann ist es wieder gut! Andere finden Bilder: Ich bin immer mit 180 auf der Überholspur gefahren. Dann musste ich plötzlich bremsen. Zum Glück ist nicht mehr passiert. Jetzt muss ich die Spur wechseln.
Unser Herz ist der Taktgeber im Leben. Zuverlässig schlägt es im Durchschnitt 70 Mal in der Minute und pumpt Blut in die Gefäße. Es ist ein wahres Hoch- leistungszentrum. Die Pumpe, sagt man auch gern im Volksmund.
Zugleich ist das Herz für uns der Sitz des Gefühls. Verliebte sagen: 'Ich schenke dir mein Herz.' Im Herzen werden Ärger und Wut wie auch Freude und Dank angesiedelt. Eigentlich passt das gar nicht so richtig zusammen – das Hochleistungszentrum mit den Herzensangelegenheiten.
Interessant ist hier ein Blick in einen anderen Kulturkreis. Im Hebräischen, der Sprache der ersten Bücher der Bibel, ist das Herz der Sitz des Verstandes, des Willens – also ganz im Sinne des Leistungszentrums. Dagegen wird das Gefühl in den Organen im Bauchraum, vor allem in der Leber und den Nieren angesiedelt.
‚Dir ist wohl eine Laus über die Leber gelaufen?‘ oder ‚auf Herz und Nieren prüfen‘: In diesen Sprichworten reicht diese Denkweise auch in unseren Sprachraum hinein. Außerdem sagen wir auch gern: Wir verlassen uns auf unser Bauchgefühl.
In der Bibel, in Psalm 16,9f heißt es:
Darum freut sich mein Herz und es jubelt meine Leber, selbst mein Fleisch wohnt im Vertrauen. Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen.
Hier sind Verstand und Gefühl, Körper und Seele – Seele als unser ganzes, allumfassendes Sein – gemeint. Wenn es mir gelingt, als Seelsorgerin diese große Perspektive in einem Gespräch eröffnen zu dürfen, empfinde ich es als ein wirklich großes Geschenk.
Christine Behrend, Pastorin und Klinikseelsorgerin