Berührungen

Mich hat dieses eine Bild sehr berührt: Queen Elisabeth II. in der St. George’s Chapel auf Schloss Windsor.

Der Gottesdienst hat begonnen, die Stunde des öffentlichen Abschieds von Ihrem Mann Prinz Philip, mit dem sie über 70 Jahre verheiratet war. Das Bild am Montag in einer Zeitung war unterschrieben mit: „Allein auf der Kirchenbank: Selbst im Moment ihrer Trauer wollte die Queen zeigen, dass auch für sie die Corona-Regeln gelten“. Eine große Geste der Solidarität in jedem Fall mit all jenen, die in diesen berührungslosen Zeiten den Verlust eines Menschen zu beklagen haben. Und denen neben der Trauer die verordnete Einsamkeit am Grab als zusätzliche Mühsal auferlegt ist.

Aber es war eben nicht nur die Solidarität der Maske. Mich rührte etwas anderes. Als Oberhaupt der anglikanischen Kirche ist die Queen von jeher ein Christenmensch in besonderer öffentlicher Verantwortung. Das Bild „allein auf der Kirchenbank“ vermittelte: Seht her, am Ende bin auch ich allein, bin ich wie jeder andere Mensch zu einer Haltung gefordert, die uns das Leben, zuletzt der Tod abnötigt. Niemand kann stellvertretend für mich leben und sterben. Ich selbst muss hindurch.

Martin Luther hat das einmal geradezu klassisch formuliert in der ersten seiner Invocavit-Predigten von 1522: „Wir seindt allsampt zu dem tod gefodert und wirt keyner für den andern sterben, Sonder ein yglicher in eygner person für sich mit dem todt kempffen. In die oren künden wir woll schreyen, Aber ein yeglicher muß für sich selber geschickt sein in der zeyt des todts: ich würd denn nit bey dir sein noch du bey mir.“

Niemand ist bei der Queen in St. George’s Chapel. Auch als Christin saß sie ganz alleine dort, ließ sie die sonst beherrschende und raumfüllende weltliche Hierarchie zurücktreten, um als erste Dienerin ihrer Kirche die Insignien geistlicher Herrschaft anschaulich werden zu lassen: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2. Kor 12,9).

Als Mensch vor Gott, gebrechlich und geschwächt zuletzt, stellte sie sich in die Reihe all derer, die sonst aus respektvoller Distanz ihrer Königin huldigen. Und lauschte tapfer einer Vertonung des 104. Psalms, damals eigens komponiert zum 75. Geburtstag ihres Mannes. Er selbst hatte es so verfügt für die schlichte Abschieds-Zeremonie, wohlwissend, was jetzt allein berühren kann: Lobe den Herrn, meine Seele! Halleluja!

Thomas Kratzer, Pfarrer in Arnstadt